
Wer ist mein Nächster?
Mein Hausnachbar Peter war Bergmann und lebte mit seinem Flurnachbarn - ebenfalls ein junger Bergmann - in ständigem Streit, im Grunde genommen wegen ganz belangloser Dinge. Wie oft hatte ich schon vermittelt und geschlichtet. An einem Sonntagabend traf ich ihn.
„Na, woher?“, fragte ich.
„Oh, Sie hätten dabei sein sollen!“, rief er begeistert, „wir hatten eine mächtige Kundgebung!“
„Eine Kundgebung? Um was ging es denn?“
„Wir haben gegen die Ausbeutung unserer schwarzen Kumpels in Afrika demonstriert!“
„Sieh mal an, dafür interessieren Sie sich!“
„Und ob!“, rief Peter erregt. „Mit denen sind wir völlig solidarisch! Alle sind unsere Brüder!“ Man merkte noch den stürmischen Atem jener mächtigen Kundgebung.
„Oh, Peter“, entgegnete ich erfreut, „dann werden Sie ja heute Abend noch zu Herrn Lehmann gehen und ,Bruder‘ zu ihm sagen.“
Da wich der Glanz aus seinem Gesicht. „Was? Dieser Kerl! Denken Sie, was der sich jetzt wieder geleistet hat mit seinem Mülleimer - und das auf meinem Parkplatz! Dem werde ich gehörig Bescheid sagen, diesem …!“
Traurig ging ich davon. Und wieder einmal wurde mir bewusst, wie bedeutsam, wie herausfordernd die Aufforderung der Bibel ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Den „Fernen“ zu lieben, den schwarzen Bergmann in Afrika, das ist nicht schwer, zumindest mit Worten. Aber den „Nächsten“ zu lieben - da hapert es oft. Tatsächlich können es nur diejenigen, die ihr Herz der Liebe Gottes geöffnet haben und selbst neue Menschen geworden sind.
(Nach W. Busch, „Liebe deinen Fernsten“)